Das Kurhaus und die Kunst

Von den "Brücke"-Malern, über Radziwill, Anatol bis Grenzer

„Jeder Mensch ist ein Künstler. … Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische und das ist mein Kunstbegriff.“ (Adriani, Götz. Konnertz, Winfried. Thomas, Karin. Joseph Beuys. Leben und Werk. 1988. Ostfildern. Seite 204)

 

In den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts reist der Düsseldorfer Ver­kehrspolizist und Beuys Meisterschüler Anatol Herzfeld nach Dangast. Er ist auf den Spuren der Künstlerkolonie. Was er findet ist ein Ort, der ihn in seine Tradition aufnimmt und es ihm erlaubt selbst Spuren im Kurhaus und am Kur­haus­strand zu hinterlassen.

 

Als Künstlerort bekommt Dangast 1907 Bedeutung. Die Freunde Erich Heckel und Karl Schmidt Rotluff von der Dresdner „Brücke“ kommen im Frühjahr an den Jadebusen. Sie sind auf der Suche nach dem Abwechslungsreichen, Unbekannten und Ungewöhnlichen – nach Landschaften die neue Wahr­nehmungen und Sinneseindrücke entstehen lassen. In Dangast finden sie Meer, Watt, Geest, Moor und Marsch auf engstem Raum und ineinander verwoben. Besonders der Baumbestand, der bis an den Kurhausstrand reicht, inspiriert beide zu großen Gemälden. Sie erleben Dangast noch als Bauern- und Fischerdorf. 1910 kommt Max Pechstein, von beiden inspiriert, nach Dangast. Von ihm stammt das Gemälde „Dangaster Landschaft“, mit einer expressio­nistischen Darstellung des Kurhauses Dangast.

Die „Brücke“-Zeit am Kurhaus geht 1912 zu Ende, 1921 kommt Franz Radziwill auf Empfehlung von Schmidt-Rotluff in den Ort. Er kauft 1923 ein Fischerhaus und bleibt als Erster dauerhaft in Dangast. Bis zu seinem Tod im Jahr 1983 bleibt er in Dangast und betont immer wieder die Bedeutung des Ortes für sein Schaffen. Auch das Kurhaus wird von ihm verewigt: „Dangast vom Meere aus“ (1924) zeigt die unverkennbare Architektur vor einer Baumgruppe, die in geheimnisvolles Licht getaucht, wie ein märchenhaft, monumentales Gebirge aufgetürmt wirkt.

Nach dem zweiten Weltkrieg erlebt Dangast bis in die späten 70er Jahre eine starke Veränderung durch den sich stetig steigernden Fremdenverkehr. Groß­flächige Parkplätze werden angelegt, Campingplätze entstehen und einheit­liche Ferienhäuser werden auf den noch existierenden Freiflächen des Dorfes errichtet. Der einstmalig so reizvolle Wechsel von Feldern, Bauern- und Fischer­häusern geht verloren. Das Kurhaus Dangast und seine unmittelbare Umge­bung widerstehen dieser Entwicklung, zur großen Freude von Franz Radziwill. Eine konfliktreiche und intensive Freundschaft verbindet F. Radziwill mit den Grambergs und Tapkens zeit seines Lebens. Von 1977 an ist F. Radzwill sehr häufig im Kurhaus. Karl-August erinnert sich: „Jo, … eigentlich erst als Vadder gestorben war, ja …, ja das waren fünf sechs Jahre mit Franz hier, … und das war seine große Zeit hier, wo er schöne Ausstellungen machte. Dr. Francksen machte ja auch schöne Ausstellungen mit ihm, da sind wir eigentlich gut durch die Gegend gekommen. Da waren wir mal in Halle (Westfalen), bei einer Ausstellung in Oldenburg sowieso, …“

Für F. Radziwill bleibt das Kurhaus immer der zentrale und wichtigste Bezugs­punkt in Dangast. Die sich seit den siebziger Jahren dort neu bildende „Kunst­szene“, durch Karl-August Tapken entschieden gefördert, beobachtet F. Radziwill mit Interesse und skeptischem Wohlwollen bei seinen regelmäßigen Besuchen im Kurhaus.

Die sich in den siebziger Jahren bildende „Kunstszene“ wird besonders durch den anfangs erwähnten Meisterschüler von Joseph Beuys, Anatol, geprägt. Im Sinne von dem Motto von J.Beuys (1921–1986): „Jeder Mensch ist ein Künstler“, finden rund um das Kurhaus Kunstaktionen beziehungsweise Happenings statt. Das Kurhaus wird zum Treffpunkt der Künstler, hier entstehen die Ideen für weitere Projekte. Karl-August Tapken stellt Anatol den Kurhaus­saal, der bis dato nur für Festlichkeiten genutzt wird, als Atelier zur Verfügung. Mitte der 70er Jahre ist, außerhalb der Hochsaison im Sommer, nicht viel los in Dangast – Anatol trägt durch seine Kunstaktionen auch zur Belebung des gastronomischen Kurhausbetriebes bei. Von Anatol stammt das aus Polyester gebaute Schiff, „Tante Olga“, das mit Hilfe von Kapitän Anton Tapken, Bruder von Karl-August Tapken, vom Kurhaus Strand zur Documenta 6, 1977, nach Kassel gebracht wird. „Die Jade“, eine grüne Figur, die einen Frauenkörper darstellt, ist auch von Anatol. Sie wacht im Watt über den Jadebusen und begrüßt die kommenden Boote. In dieser Zeit kommt Anatol fast jedes Wochen­ende nach Dangast, unter der Woche arbeitet er als Verkehrspolizist in Düsseldorf. Karl-August Tapken organisiert die Materialien, die notwendig für die Kunstaktionen der Gruppe „Freie Akademie Oldenburg“ sind. Joseph Beuys nimmt ebenfalls an einer der Dangaster Aktionen teil. J. Beuys erscheint mit breiter Hutkrempe und gewaltigem Bentley, Karl-August Tapken erzählt von dem rosa angestrichenen Ackerwagen und seiner Begegnung mit Beuys: „Ja, das hat Vadder noch mitunterstützt, er hat einen Ackerwagen spendiert. Den haben die dann am Strand aufgestellt, mit Stroh vollgepackt und dann angezündet, jo. Ne, ich seh da noch Beuys mit so einem großen Hackebeil, so am rumstochern, und vor allen Dingen war das jedes Mal was für die Presse, stand dann in der Zeitung. Ansonsten war das für die Offiziellen alles verdächtig.“

Im Jahre 1984 sorgt der Bildhauer Eckart Grenzer dafür, dass das Nordseebad Dangast zum Medienmittelpunkt wird. Er stellt unter den Augen zahlreicher Zuschauer einen 3,20 Meter hohen Phallus aus Granit mit dem Titel „Begeg­nung der Geschlechter“ auf.